Mit den Emojis kehren wir zu den Ursprüngen der Schrift zurück

Zum XX Europäischen Tag der Sprachen: Interessantes über Geschichte und Gegenwart von Schriftsystemen

Vor fast viertausend Jahren wurden in Mesopotamien die Buchstaben erfunden, um die Kommunikation zu beschleunigen: Beim Handeln vergeudete man wertvolle Zeit, wenn man die Ware jedes Mal zeichnen musste. Seit etwa dreißig Jahren verwenden wir beim Schreiben nun wieder Piktogramme. Heute geht es dabei vor allem darum, Gefühle auszudrücken.

Emojis schaffen Empathie: So lautete das zentrale Ergebnis des Adobe Global Emoji Trend Report 2021.  Das im Übrigen niemanden überraschen dürfte, schließlich ist jedem klar, dass „Ich kann die Abreise kaum erwarten 😎“ etwas anderes bedeutet als „Ich kann die Abreise kaum erwarten 😒“. Von Babyboomern und Millenials gleichermaßen geliebt, haben über 3.000 Emojis Einzug in unsere Alltagskommunikation gehalten. In den letzten Jahren kamen zahlreiche Symbole für Lebensmittel, die Natur und verschiedene Gegenstände hinzu, doch am beliebtesten sind immer noch die Gesichter. Für den erwähnten Adobe-Report wurden die Nutzer auch gefragt, welche Kategorien sie gern erweitert sähen: „Emotionen und Gefühle“ steht an erster Stelle, gefolgt von „Beziehungen“. Zum ersten Mal tauchten die kleinen „Gesichter“ wahrscheinlich im März 1881 auf, als die amerikanische Satirezeitschrift Puck vier stilisierte Gesichter veröffentlichte, um typografisches Können zu demonstrieren.

Achtzig Jahre später, 1963, entwarf der Werbegrafiker Harvey Ball das erste große, gelbe Smiley, das wir alle kennen: Eine Versicherungsgesellschaft verwendete es für eine interne Kommunikationskampagne. In den 1980er Jahren wurden Emojis dann in der Computerwelt eingeführt, und seitdem erfreuen sie sich ständig zunehmender Beliebtheit. 2015 wählten die Oxford Dictionaries ein Smiley zum „Wort“ des Jahres (😂). Die digitalen Medien, über die wir immer schneller und knapper kommunizieren, haben zweifellos zum Erfolg der Emojis beigetragen, doch könnte der Wandel der Schrift auch mit den Inhalten zusammenhängen, die wir vermitteln wollen. Fehlen uns die Worte, um Gefühle auszudrücken? Oder gibt es im privaten und gesellschaftlichen Leben Veränderungen, die sich so leichter darstellen lassen?

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Aus einem Stier wurde ein A – die Entwicklung des Alphabets

Sicherlich mit gesellschaftlichen Veränderungen hatte es zu tun, dass die Menschen in Mesopotamien um  1700/1500 v. Chr. allmählich Piktogramme – also Symbole, die eine  Sache darstellen – aufgaben, und zu einem Schriftsystems übergingen, in dem jedes Symbol einem Laut entspricht. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte man Symbole verwendet, eine Weiterentwicklung der ägyptischen Hieroglyphen, doch nun betrieb man immer regeren Handel, die Geschäftsbeziehungen weiteten sich aus, und das alte System war nicht mehr schnell genug.  Man konnte sich nicht kostbare Minuten lang damit aufhalten, reihenweise Schafe oder Getreidegarben zu zeichnen. 

Aus diesem erstem Schriftsystem, das protosinaitisch genannt wird, entwickelten sich verschiedene Alphabete: Hebräisch, Aramäisch (und daraus wieder das arabische und verschiedene indische Alphabete) und Phönizisch. Das phönizische Alphabet war die Grundlage für das griechische, und damit für das lateinische und kyrillische – ein Alphabet, das um 600 v. Chr. entstand und das heute weltweit etwa 50 Sprachen weltweit verwenden. 

In einigen Buchstaben, die wir heute verwenden, ist das ursprüngliche Symbol noch zu erkennen.  In unserem A steckt der erste Buchstabe des protosinaitischen Alphabets: alef. Alef war auch die Bezeichnung für „Stier“ – Inbegriff der Landwirtschaft, der Hauptquelle des Lebensunterhalts. Deshalb die erste Position im Alphabet.

Dieselbe Bedeutung hatte im alten Ägypten eine Hieroglyphe, die einen Stier darstellte.  Mit der Zeit wurde die Darstellung einfacher: Die Hörner wurden immer flacher, bis sie auf den Kopf „rutschten“. Zur Zeit der Phönizier wurden mehrere Symbole gleichzeitig verwendet; die Griechen verwandelten aleph in alpha und drehten das Symbol um 180 Grad. Über die Etrusker gelangten die Buchstaben zu den Römern, wo sie weiter vereinfacht wurden, um sie an das lateinische Schriftsystem anzupassen. 

Ein anderes Beispiel für einen Buchstaben, der mit einem Tier zu tun hat, ist unser C: Es leitet sich vom dritten Zeichen des protosinaitischen Alphabets ab und geht auf das Wort gamal zurück, was „Kamel“ bedeutet.

Kamele hatten und haben in Wüstenregionen große Bedeutung, da sie Wasser durch trockene Gebiete transportieren und lange Dürreperioden überstehen können. Um sie symbolisch darzustellen, wählte man ihr charakteristischstes Merkmal: den Buckel. Das Zeichen war im Vergleich zum protosinaitischen Original sehr einfach und schnell darzustellen und wurde auch in das hebräische Alphabet übernommen. Im griechischen Schriftsystem wurde es gedreht und begradigt und erhielt den Namen gamma. Für das lateinische Alphabet vereinfachte man es weiter und stelle es gedreht dar, und es wurde zum Symbol für den Laut „C“ oder „K“. 

China vereinfacht auf seine eigene Weise

Während vom Mittelmeerraum Abwandlungen des ägyptischen Schriftsystems ausgingen, blühte im Fernen Osten das chinesische System, das seit jeher ein Symbol mit einem Wort verbindet (sogenannte Ideogramme oder, korrekter, Logogramme). Doch auch in China stellte sich im Lauf der Jahrtausende die Frage der Schreibgeschwindigkeit.

Schon in der Antike begann man die Schriftzeichen aus praktischen Gründen zu vereinfachen: So wurde die Sonne zunächst auf Keramik oder kleinen Metalltafeln als runder Kreis dargestellt; als Bambus die Keramik ersetzte, änderte die Sonne ihre Form und wurde quadratisch, da es sehr schwierig war, auf Bambus gekrümmte Linien zu zeichnen. Die wirkliche Revolution erfolgte mit der Einführung des Papiers im zweiten Jahrhundert nach Christus, als die Menschen begannen, mit Pinsel und Tinte zu schreiben. Diese Werkzeuge machten es einfacher, die Schriftzeichen auszuschmücken, und es entstand die chinesische Kalligrafie, wie wir sie heute kennen. Eine erneute Vereinfachung setzte dann die Kommunistische Partei nach 1945 durch, um dem Analphabetismus vor allem auf dem Land entgegenzuwirken.

Seitdem bevorzugt man in China bei etwa 2.000 Wörtern die vereinfachte Form, und die traditionellen Schriftzeichen bleiben akademischen Kreisen vorbehalten.  Dass in Taiwan und Hongkong sowie in einigen chinesischen Gemeinschaften in Kanada und den Vereinigten Staaten die vereinfachten Schriftzeichen abgelehnt werden, hat politische Gründe: Man lehnt ab, was von der kommunistischen Regierung in Peking beschlossen wurde.

🙂 oder ^_^ ? Das Missverständnis der Universalität

Seit ein paar Jahren fragen sich viele Menschen: Könnten Emojis ein neues Kapitel in der Kommunikation aufschlagen und die Barrieren zwischen den Sprachen auflösen? Nicht ganz. 

Zunächst einmal müssen wir den Unterschied zwischen Emojis, Emoticons und Kaomoji klären. Emojis werden im Unicode-Zeichensatz  „geschrieben“ und sind heute auf Computern und Smartphones weit verbreitet. Unicode ist ein universelles Kodierungssystem, das von verschiedenen digitalen Kommunikationsplattformen verwendet wird, sodass die gezeichneten Gesichter überall auf der Welt gleich oder zumindest sehr ähnlich aussehen. 

Auf einfacheren Geräten oder wenn man keine grafische Benutzeroberfläche nutzen kann oder will, verwendet man stattdessen die im Westen gebräuchlichen Emoticons oder kaomoji, die japanische Variante. Emoticons und kaomoji sind Smileys, die nur mit Text (Buchstaben und Interpunktion) „gezeichnet“ werden. Emoticons werden von links nach rechts gelesen und es werden maximal vier Zeichen verwendet: zum Beispiel 🙂 für ein Lächeln. Kaomoji hingegen werden frontal erfasst und können aus bis zu 20 Zeichen bestehen: zum Beispiel ^_^, aber auch (*^▽^*), was noch größere Freude ausdrückt. 

Doch sind die Unterschiede nicht nur verschiedenen Computersprachen geschuldet. Piktogramme sind ein Konzentrat der jeweiligen Kultur.  Um beim Lächeln zu bleiben: Der Unterschied zwischen Emoticons und kaomoji lässt sich dadurch erklären, dass man im Westen das Lächeln in erster Linie mit dem Mund assoziiert: 🙂 oder :-D.  In Japan hingegen liegt der Fokus auf den Augen. Noch deutlicher wird dies bei der Darstellung des Lächelns einer Frau: ^.^; der Mund ist nur ein Punkt, denn die Zähne zu zeigen, ziemt sich für Frauen nicht. ≦(._.)≧  – dieses Symbol versteht man ebenfalls nur in seinem kulturellen Kontext. Die kaomoji stellen auch Körperteile dar, und in diesem Fall zeigen sie eine tiefe Verbeugung, eine in Japan übliche Geste der Entschuldigung.  „Ich kann die Abreise kaum erwarten ≦(._.)≧“ bekommt so eine ganz andere Nuance. . .

Soweit nicht durch Links auf andere Quellen verwiesen wird, stammen die Informationen in diesem Artikel aus den Unterrichtsmaterialien, die vom Forschungsteam des Projekts SMS – Sprachenvielfalt macht Schule entwickelt wurden.

Authorin: Valentina Bergonzi

Erste Version: Eurac Research Magazine. 23. September 2021


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